Wie glücklich macht Geld?

Hinter der Fensterscheibe träumt der alte Mann vom Meer

von Steven Plöger

Jeden Morgen bei meiner frühen Hunderunde gehe ich an einem Mehrfamilienhaus vorbei, wo im Erdgeschoss zwischen den ordentlichen Gardinen ein schmuckes Segelschiff im Fenster steht. Lange schon habe ich mich gefragt, wem es gehört.

Vor ein paar Tagen brach dann meine seit Jugendtagen angeborene Reporter-Neugier durch und ich fragte einen aus dem Haus kommenden Mann, ob er wüsste, wer der Besitzer des Seglers wäre. Er lachte: „Mein Nachbar, der Kurt, ein alter Seebär. Wollen Sie mit ihm sprechen?“ Ich wollte. Das Schiff im Fenster war der Originalnachbau seines früheren Bootes, das ein Modellbauer für ihn angefertigt hatte. Mitte der 7Oer Jahre wurde das Schiff in der Nähe von Lüneburg „auf Kiel gelegt“. Kurt kannte immer noch alle Details und zählte sie begeistert auf: „9,26 Meter lang, 2,65 Meter breit, 1,4 Meter Tiefgang.“

Der Name des Seglers war „Polly“ – benannt nach der Tante von Tom Sawyer, den sich der Schriftsteller Mark Twain ausgedacht hatte. Die Geschichten vom Mississippi hatte Kurt geliebt. So wie sein Schiff. Das ganze Mittelmeer hatte er einst gemeinsam mit seiner Frau auf See erkundet. In den 90er Jahren erfolgte der finanzielle Schiffbruch seiner Firma – „da ging auch das Boot über den Jordan“, wie er mir traurig erklärte. Das Modell des Seglers ist ihm geblieben. Und Erinnerungen. Auf Kreta tanzte er einmal im Hafen die ganze Nacht mit Einheimischen Sirtaki, „wie Anthony Quinn im Film Alexis Sorbas“. Als er davon sprach, glänzten seine Augen. Ich fragte ihn, ob er sich nach einem überraschenden Lottogewinn wieder ein Segelschiff kaufen würde. Er schüttelte den Kopf: „Mich würde der nächste Wind von Bord wehen, so klapperig wie ich heute bin.“ Als ich zwei Tage später wieder an dem Haus vorbei ging, sah ich den Mann am Fenster. Er winkte mir zu und legte die Hand an eine imaginäre Kapitänsmütze zum Gruß. Ich winkte zurück. Ahoi Käpt`n Kurt, behalte den Seegang und den Sirtaki im Herzen, die besten Momente gibt’s schließlich auch für Geld nicht zurück.

ein Artikel von
Steven Plöger